Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!
Im evangelischen Gemeindesaal in Starnberg stellte sich am 17.09.2020 das landkreisübergreifende „Bündnis für Menschlichkeit Starnberg Weilheim-Schongau“ vor. Aufgrund der Coronabeschränkungen waren nur 50 Besucher*innen zugelassen. Dr. Stefan Koch, evangelischer Pfarrer in Starnberg und Gründungsmitglied, erläuterte zu Beginn des Abends die Entstehungsgeschichte des Bündnisses. Auf Initiative von Petra Fontana aus Starnberg trafen sich Anfang des Jahres engagierte Menschen aus den Landkreisen Starnberg und Weilheim-Schongau, die schon lange mit großem Unbehagen das Sterben im Mittelmeer und die Politik der Europäischen Union an den europäischen Außengrenzen verfolgen. Schnell war ein Name gefunden: Bündnis für Menschlichkeit Starnberg Weilheim-Schongau. Das Bündnis entschloss sich, Partner des Aktionsbündnisses der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) united4rescue zu werden.
Petra Fontana erläuterte: Eine beim evangelischen Kirchentag in Dortmund im Juni 2019 verabschiedete Resolution hatte die Evangelische Kirche in Deutschland aufgefordert: Schickt selbst ein Schiff! Der Forderung hatten sich in der Folge mehr als 40.000 Menschen angeschlossen. Rat und Synode der EKD hatten dann Anfang November 2019 beschlossen, sich dieser Aufgabe im Rahmen eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses zu stellen: united4rescue. Ihm gehören Kirchen, Vereine, Hilfsorganisationen, Firmen und politische Initiativen an. Im Januar 2020 wurde durch Spenden der Kauf des Bündnisschiffes ermöglicht. Dieses Schiff, die „Seawatch 4“, konnte coronabedingt erst im August auslaufen und hat aber schon in ihrem ersten Rettungseinsatz über 300 Menschen aus Seenot retten können.
Zu diesem ersten öffentlichen Abend hatten Petra Fontana und ihre Mitstreiter*innen Benedikt Funke aus Bad Tölz und Sandra Gassert aus Penzberg eingeladen. Benedikt Funke als Kapitän verschiedener Rettungsschiffe, zuletzt der Iuventa, und Sandra Gassert als evangelische Seelsorgerin für die Crewmitglieder der Schiffe.
Mit eindrucksvollen Worten und ausdrucksstarken Bildern schilderten beide Protagonisten, wie ihre Arbeit in der privaten Seenotrettung aussieht.
Frau Gassert betonte, dass nicht nur die Geretteten Hilfe brauchen, sondern auch die Menschen, die auf den Rettungsschiffen arbeiten. Sie sind höchsten psychischen sowie physischen Belastungen ausgesetzt. Was die Helfer*innen oft zu sehen bekommen, ist schwer zu ertragen. Leichen, Gerettete mit schweren Verätzungen, die sie im Schlauchboot durch eine Mischung aus ausgelaufenem, Benzin, Meerwasser und Fäkalien erlitten haben; Menschen mit Folterspuren; schwerst traumatisierte Menschen, darunter auch Kinder und Babys.
Wer erklärt sich bereit, auf einem privaten Seenotrettungsschiff zu arbeiten? Es sind nicht, wie vielleicht vermutet werden könnte, nur idealistische, junge Menschen; nein: auch fest im Leben stehende Frauen und Männer, die dem Sterben auf dem Mittelmeer nicht weiter untätig zusehen wollen. Frau Gassert leistet wertvolle Unterstützung um die seelischen Belastungen der Helfenden zu lindern.
Benedikt Funke studierte Nautik in Bremen. Er hat bereits die ganze Welt umschifft – als Offizier auf Container- und Kreuzfahrtschiffen sowie in verschiedenen privaten Projekten, bevor er Kapitän auf dem Rettungsschiff Iuventa wurde. Sehr nachdenklich stimmte sein Rückblick, wie es überhaupt zu der heutigen Situation der Seenotrettung gekommen ist. Die private Seenotrettung habe erst begonnen, weil die Europäische Union versage. Die EU komme ihrer humanitären Verpflichtung der staatlichen Seenotrettung nicht nach. Auch die Bundesrepublik Deutschland trägt eine große Verantwortung dafür. Erhebliche Widerstände, wie die Verweigerung von Hafeneinfahrten in Italien und Malta, die Verhängung von hohen Geldstrafen, die Androhung von Gefängnisstrafen und die Verleumdung als Handlanger von „Schleusern“ können den humanitären Auftrag der Rettungsschiffe und ihrer Besatzungen aber nicht bremsen. „Wir schaden uns doch selbst, wenn wir es zulassen, wie die Werte Europas im Mittelmeer verraten werden“ so Benedikt Funke und sagte an anderer Stelle, als Pfarrer Koch von Kirchenaustritten berichtete, weil die evangelische Kirche ein eigenes Schiff zur Rettung der Menschen schickte:“ …….Ich würde aus der Kirche austreten, weil meine Kirche nichts tut und das Sterben zulässt………..“ Außerdem forderte er, dass die EU sofort die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache beenden müsse. Seenotrettung ist Pflicht und kein Verbrechen!
Die Bilder, die im Laufe der Vorträge von beiden Vortragenden gezeigt wurden, verdeutlichten die Dramatik und die Dimension menschlichen Leids auf dem Mittelmeer. Musikalisch begleitet wurde der Abend mit starken Texten von Jo Jasper aus Nürnberg; ergreifend sein Lied „ Du bist willkommen“.